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Unternehmen, die die Arbeitswelt verändern II

Beitrag vom 09.04.2015: Jonas Jankus

Stellen Sie sich vor, Sie kommen zur Arbeit und einige Plätze sind leer. „Wo sind die Kollegen?“ fragen Sie vielleicht Ihre Chefin. „Interessiert mich nicht“ ist die Antwort. Oder stellen Sie sich ein Meeting vor, bei dem zwischendurch Menschen aufstehen und einfach gehen, weil Sie das Interesse daran verloren haben. Oder wie wäre es mit einem Unternehmen mit 3000 Angestellten, in dem es keine Personalabteilung gibt? Stellen Sie sich dazu noch vor, in einem Maschinenbauunternehmen dürften die Mitarbeiter selbst entscheiden was sie bauen, wie sie es bauen, mit welchen Geräten sie es bauen, und welche Stellen dafür in ihrem Team besetzt werden müssen. Klingt ganz schön verrückt, oder?

Im Brasilianischen Unternehmen Semco sind UNternehmen, die die Arbeitswelt verändern
diese Dinge und einige mehr seit über 30 Jahren Realität. Kurz nachdem der heutige Inhaber von Semco, Ricardo Semler, das Unternehmen von seinem Vater übernahm brach er während der Arbeit zusammen: Monatelanges Dauerarbeiten, bis zu 16 Stunden am Tag und ständig auf Reisen, forderte seinen Tribut. Er beschloss, dass es so nicht funktionierte, und dass er eine neue Balance zwischen Arbeit und Freizeit in seinem Leben wollte. Die Änderungen an seinem eigenen Leben, die das forderte, gab er auch an seine Angestellten weiter.

„Unsere Mitarbeiter sind Erwachsene Menschen und so behandeln wir sie auch“ wird Herr Semler zitiert. Ein anderes Zitat von Ihm lautet: „Menschen werden dazu erzogen, sich als Maurer oder Maler zu verstehen, nicht als Schöpfer einer Kathedrale“. Was hinter diesen Aussagen steckt ist ein Glaube daran, dass die Art, wie unsere Arbeit abläuft, nicht funktioniert und unsere Organisationen etwas sein sollten, in dem alle Beteiligten zusammen etwas erschaffen, und nicht die Mehrheit für das Wohl einer Minderheit arbeitet. Ich stimme Herrn Semler zu. Warum zum Beispiel gibt es in manchen Betrieben eine (möglicherweise unausgesprochene) Kleiderordnung – selbst wenn es keinen Kundenkontakt gibt? Ein Anzug steigert die Fachkompetenz eines Buchhalters oder einer Einkäuferin sicherlich nicht mehr als das Gefühl, so gekleidet zu sein wie es ihnen selbst gefällt. Ebenso wenig macht es Sinn, die Arbeitszeiten zu kontrollieren und Arbeiter gegebenenfalls zu ermahnen, falls sie 5 Minuten zu spät kommen. Ein weiteres Thema ist Weitsicht: In vielen Unternehmen wird die Zielerreichung pro Quartal überprüft – wie wahrscheinlich ist es, dass langfristiges Denken eine Chance bekommt, wenn man im Abstand weniger Monate Fortschritt vorweisen muss?

Bei Semco hat man aus diesen – vermeintlich offensichtlichen – Fehlannahmen über die Arbeit Konsequenzen gezogen. Hauptsächlich die, dass allen Mitarbeitern vertraut wird selbst zu wissen wann und wie sie am besten arbeiten. Bei Semco ist es nicht unüblich, dass Kolleginnen mitten am Tag Heim gehen, um die Kinder zu versorgen. Dafür arbeiten Sie dann eben zu einer anderen Zeit nach, oder auch nicht. Wenn bei Semco jemand sein Wochenziel schon am Mittwoch erreicht, ist niemand böse, wenn er den Rest der Woche am Strand verbringt. Schließlich sollen die Mitarbeiter ja auch Zeit haben, ihr Leben zu genießen. Außerdem ist es belegt, dass Menschen mit einer ausgewogenen Balance zwischen Privatleben und Arbeit am ehesten langfristig gesund und leistungsfähig bleiben. Und was eine gute Balance zwischen Arbeit und Privatleben für jemanden ist, dass wissen die Mitarbeiter selbst am besten.

Die einzigen Menschen, die bei Semco Bewertungen bekommen, sind die Führungskräfte, nämlich von ihren Geführten. Überhaupt bekommt dort nur jemand eine Führungsaufgabe, wenn sie sich vorher ihren potentiellen Untergebenen vorgestellt hat und von ihnen akzeptiert wurde. Mitarbeiter sind verpflichtet Urlaube zu nehmen und sich regelmäßig weiterzubilden. Meetings sind allesamt freiwillig – niemand soll sich an etwas beteiligen müssen, worauf er keine Lust hat. Zusätzlich werden alle Gehälter, Umsätze und die Bilanz des Unternehmens intern veröffentlicht. Wenn jemand eine Gehaltserhöhung möchte, kann er sich diese selbst geben, Führungskräfte können ihr Gehalt selbst bestimmen. Das alles funktioniert, weil es auf der einen Seite das Vertrauen in die Mitarbeiter gibt, verantwortungsvolle Erwachsene zu sein und andererseits weil alle diese Informationen öffentlich sind, und somit die Mitarbeiter dem sozialen Druck ausgesetzt sind, den das Wissen um diese Informationen erzeugt. Wenn jemand 3 Tage die Woche am Strand liegt und mehr verdient als die anderen, steigen auch dementsprechend die Erwartungen der Kollegen.

Und funktioniert das? Die kurze Antwort lautet ja. Seit Herr Semler den Fokus auf das Vertrauen in die Mitarbeiter gelegt hat, wuchsen die Umsätze von 35 Millionen Dollar auf über 200 Millionen jährlich. Das Unternehmen vergrößerte sich von wenigen hundert auf über 3000 Mitarbeiter. Die Personalfluktuation Semcos liegt bei etwa 1% - ein mehr als unüblicher Wert. Semco hat sich ausgeweitet auf 8 unterschiedliche Geschäftszweige. Herr Semler hat bereits mehrere Bücher über sein „Management durch Unterlassung“ geschrieben und ist Gastdozent an namhaften Wirtschaftsschulen weltweit. In letzter Zeit wurden sogar Schulen in Brasilien eröffnet, die nach demselben Prinzip die Schüler über ihr Curriculum entscheiden lassen und Klassen nach Inhalten statt nach Alter organisieren.

Und wenn dieses System so gut ist, warum ist es dann noch nicht der neue Goldstandart in der Wirtschaft? Zum einen sind grade große Unternehmen meistens sehr rigide und langsam, was Veränderung angeht und brauchen einfach Zeit. Zum anderen sind die Entscheider, die solche Veränderungen beschließen könnten, meistens zu sehr mit der Idee „der Bestimmer“ zu sein verwachsen, um sich einfach davon trennen zu können. Es ist verständlich, dass es Managern schwer fällt, ein Paradigma zu akzeptieren, in dem Manager kaum noch notwendig sind für das interne funktionieren des Unternehmens. Oder wie Upton Sinclair es schön sagte: „Es ist schwer einem Mann etwas verständlich zu machen, wenn sein Gehalt auf seinem Unverständnis dieser Sache beruht.“. Und zuletzt ist Veränderung in Organisationen immer ein komplexes Unterfangen.

Zu guter Letzt gibt es aber auch innovative, neue Unternehmen, die neue Arbeitsmodelle bereits umsetzen. Die Boston Consulting Group praktiziert seit einigen Jahren ein „Results Only Work Environment“ in dem es keine Regeln gibt, und nur die Ergebnisse zählen. Dieses System führte sogar zur Ausgründung einer Beratungsfirma, um auch bei anderen Unternehmen ähnliche Systeme auszuarbeiten. Bei Technologiefirmen wie Valve, Google oder Tesla werden ebenfalls erfolgreich alternative Wege gegangen. Ich glaube, dass die Zeit für diesen Umschwung noch nicht ganz gekommen ist, aber sehr nah ist. Firmen wie Semco zeigen mir jedoch, dass auch vermeintlich notwendigerweise hierarchische Branchen wie der Maschinenbau nicht ausgenommen sind von den Möglichkeiten, die ein arbeiten auf Augenhöhe bietet, sowohl für die Firmen als auch für die Mitarbeiter.

Was denken Sie über diese Art ein Unternehmen zu führen?

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