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Alles Konsens – oder was?

Ein Beitrag vom 27.05.2015: Anna Georgi

Ich bin als Kind in einem Umfeld aufgewachsen, in dem darauf geachtet wurde viele Dinge (nicht alle) im Konsens zu entscheiden. Erst wenn möglichst alle mit dem Ergebnis eines Abstimmungs­prozesses einverstanden waren, wurde das Entschiedene umgesetzt.

In unserer Gesellschaft ist der Konsens nicht sehr weit verbreitet – die meisten Menschen nehmen an, dass der Kompromiss das bestmögliche Ergebnis einer Auseinandersetzung oder eines Abstimmungsprozesses ist. Wie gehen wir damit zum Beispiel bei einer Konfliktmoderation oder in einem Training um?

Kompromiss und Konsens sind zwei Möglichkeiten (es gibt noch viele andere), um einen Konflikt oder zwei verschiedene Standpunkte „zusammenzubringen“.

Bei Auseinandersetzungen hat jede Partei einen bestimmten Standpunkt oder eine Forderung. Diese Maximalforderung möchte sie gern durchsetzen. Beharrt jeder auf seiner Forderung, dann kann es sein, dass man sich trennt oder – wenn das nicht möglich ist – dass die Auseinandersetzung immer weiter eskaliert. Sind beide bereit, Teile ihrer Forderungen zurückzunehmen, dann ist es möglich einen Kompromiss zu finden. Alle Beteiligten können dann ein Stück ihrer Forderungen durchsetzen, müssen dafür aber auch „einstecken“ und akzeptieren, dass andere Forderungen nicht erfüllt werden. Zwar wurde eine Lösung gefunden, am Ende sind aber beide Parteien mindestens ein bisschen unzufrieden.

Zwei Kinder streiten sich um eine Orange. Es ist die letzte aus dem Obstkorb und beide wollen sie gern haben. Es kommt zu heftigem Streit. Die Mutter kommt hinzu und löst den Streit auf: Sie teilt die Orange, jedes Kind bekommt die Hälfte. Der Streit ist gelöst, ein Kompromiss ist gefunden, beide Kinder sind unzufrieden.

Ganz anders bei einem Konsens. Der ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass beide Interessen bedient werden. „Wie soll das gehen?!?“ fragen Sie sich vielleicht.

Konsensfindung funktioniert dann, wenn man es schafft, von den Forderungen zu abstrahieren. Was wollen die Beteiligten wirklich? Worum geht es ihnen, was ist ihr Bedürfnis? Wenn es gelingt, die Verhaltensebene zu verlassen und auf der Ebene der Bedürfnisse zu überprüfen, was jeder braucht, dann sind die jeweiligen Standpunkte selten unvereinbar. Damit ist es dann auch möglich einen Konsens, und damit oft eine kreative, vorher nicht bedachte Lösung zu finden.

Als die Mutter zu dem Streit um die Orange dazukommt, fragt sie erst einmal nach. Sie erforscht die Bedürfnisse der beiden Streithähne: was will jedes Kind eigentlich? Es stellt sich heraus, dass eines der Kinder die Orange auspressen möchte, das andere Kind braucht die Orangenschale, um einen Kuchen zu backen. Der Konsens ist schnell gefunden: nach dem Auspressen wird die Schale abgerieben – beide Kinder sind zufrieden.

Natürlich ist es nicht immer so einfach wie in dieser Geschichte. Wenn beispielsweise um knappe Ressourcen konkurriert wird, ist die Konsensfindung nicht einfach oder sehr zeitaufwändig. Meine Beobachtung ist aber, dass allzu oft nicht einmal der Versuch unternommen wird eine Lösung  zu finden, mit der alle gut zurechtkommen.

Ich plädiere für MUT ZUM KONSENS.

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Kommentare

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  • #1: M. Herr

    Passend dazu das Beispiel eines Kompromisses, das ich neulich im Zug erlebt habe:
    Vater und Sohn sind sich uneinig, ob die Jalousie heruntergelassen werden soll oder nicht. Der Vater ist dagegen, der Sohn dafür. Meint der Sohn schließlich: "Machen wir halbe-halbe, dann hat keiner was von dem, was er sich wünscht".

    11.12.2015 10:51 | Antworten