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Vom Suchen und Finden

Ein Beitrag vom 06.04.2018: Janine Peschmann

Als ich das erste Mal von der Antilope 2.0 hörte, dachte ich an Tierdokumentationen, in denen sich hungrige Löwen auf eine von der Herde abgespaltene Antilope stürzen. Sicher hat der Urheber dieser Idee eine andere Assoziation gehabt. Viele Teilnehmer unseres Projektes beschreiben in Gesprächen jedoch eben dieses Gefühl, des Abgehängt- und Ausgeliefert-Seins. Das Gefühl, nicht mehr vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein, weil man keiner Erwerbsarbeit nachgeht, nagt an vielen Gemütern und lässt bei fast allen Teilnehmern starke Selbstzweifel aufkommen.

„Genüge ich nicht? Welche Aufgabe habe ich überhaupt noch? Wie erlange ich wieder Unabhängigkeit?“

Die fortschreitende Digitalisierung wird unseren Arbeitsmarkt verändern und sicher auch revolutionieren. Noch wissen wir nicht genau, was dies im Einzelnen bedeutet, doch ich bin der Auffassung, dass es sich schon jetzt lohnt, darüber nachzudenken, was Arbeit an sich bedeutet und welchen Stellenwert sie in unserer Gesellschaft hat. Welche Wertigkeit haben die Pflege von Angehörigen, die Erziehung der eigenen Kinder, die Hausarbeit? Was ist mit all den Menschen, die aufgrund ihrer körperlichen/ psychischen oder seelischen Verfassung nur noch wenige Stunden arbeiten können? Oder was ist mit all den Menschen, die ihre Gesundheit/ Psyche und Seele schützen wollen und gerne weniger arbeiten wollen? Was gibt es für Finanzierungsmodelle? Was sind mögliche Arbeitszeitmodelle?

Ich denke, es bewegt sich viel und es muss darüber nachgedacht werden.

In der täglichen Zusammenarbeit bin ich wirklich jeden Tag erstaunt über all die verzweigten, farbigen und ereignisreichen Biografien der Teilnehmer. Ja, sie sind arbeitslos/ arbeitssuchend. Und das meist auch schon länger. Man könnte ja denken, es wäre ihre eigene Faulheit. Arbeit ist ja schließlich da und woran soll es sonst liegen?

Ist es wirklich so einfach?

Ich erlebe die Menschen, mit denen ich täglich zusammenarbeite, alles andere als faul, dumm oder was es sonst noch so für diskriminierende Zuschreibungen innerhalb unserer Gesellschaft gibt.

Die Gründe für ihre Langzeitarbeitslosigkeit sind meist so vielfältig und vielschichtig, wie das Leben selbst. Krankheiten, der Wunsch nach Neuorientierung (aber fehlendes Geld, um sich weiterzubilden), Unfälle, Süchte, Veränderung des Arbeitsmarktes, psychische Erkrankungen, Insolvenzen der Arbeitnehmer, alleinerziehend, Ängste, gesellschaftliche Umbrüche und damit einhergehend auch wirtschaftliche Veränderungen, usw. …

Das Bergen der Schätze aus den Tiefen jedes Einzelnen stellt für mich den interessantesten Teil meiner Arbeit dar.

Was sind meine Begabungen/ Talente? Was bereitet mir Freude? Mit wem oder was möchte ich arbeiten? Will ich überhaupt noch arbeiten? Kann ich überhaupt noch arbeiten? Was sind meine Wünsche für die Zukunft? Was kann ich jetzt tun, um meinen Träumen näher zu kommen?

Manchmal bedeutet unsere Arbeit auch Trauerarbeit. Die Trauer um verpasste Lebenswege. Die Trauer darüber, dass manche Ziele vielleicht nie erreicht werden können. Doch was gibt es dann noch für Wege? Träume? Ideen?

Manchmal bedeutet die Arbeit auch Sortieren und Ordnen, weil im Laufe der Zeit ein unglaubliches Knäuel an Gedanken, Gefühlen, usw. entstanden ist. Was ist mir jetzt wichtig? Was brauche ich jetzt?

Manchmal bedeutet das Projekt auch Konfrontation und Aushalten. Was sind vielleicht liebgewonnene Strategien und Muster, die irgendwann einmal Sinn gemacht haben, jetzt jedoch behindern und ins Straucheln bringen? Was trägt mich? Wen kann ich um Unterstützung bitten?

Die Suche nach möglichen neuen Lebenswegen, die Stärkung des Selbstbewusstseins, die Unterstützung bei Fragen und Problemen und auch die Möglichkeit, sich auszuprobieren und neue Tätigkeiten und auch Menschen kennenzulernen, machen für mich den wesentlichen Kern unseres Projektes aus.

Und ja … das Ziel ist Arbeit. Alle würden gerne wieder arbeiten, ihr eigenes Geld verdienen, unabhängig sein und Sinnvolles tun. Ich habe noch niemanden erlebt, der dies nicht wollte.

Vielleicht hören wir einfach mal auf, dies den Menschen zu unterstellen.

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